Hosea Ratschiller: Stand Up auf hohem Niveau

Unlängst präsentierte Hosea Ratschiller im Kabarett Niedermair die Premiere seiner neuen Soloarbeit "Doppelleben". Darin beweist er eindrucksvoll, dass sich Stand Up und intelligente Gesellschaftskritik bestens vertragen. Im Gespräch mit kabarett.at äußert sich Ratschiller ausführlich zu seinen künstlerischen Projekten und legt nebenbei eine bestechende Analyse der aktuellen Befindlichkeit vor.

 

Der kultig-kauzige "FM4 Ombudsmann", dem Hosea Ratschiller seit bald 10 Jahren seine Stimme im Radio leiht, ist wohl jene seiner künstlerischen Inkarnationen mit dem höchsten Bekanntheitsgrad. Im Rahmen einer "Dienstreise" durfte die Figur sogar außerhalb des Hörfunks auf den Kabarettbühnen stehen. Doch der Ombudsmann ist nur ein kleiner Teil des kreativen Outputs von Ratschiller, der seit dem Jahr 2000 bei FM4 tätig ist. Im Kabarett ist er solo seit 2009 aktiv und legt mit "Doppelleben" nun sein fünftes Programm vor. Zudem nahm er letztes Jahr die Gedenken an den Ersten Weltkrieg zum Anlasss, gemeinsam mit dem Duo RaDeschnig eine "Weltuntergangslesung" frei nach Karl Kraus zu erarbeiten.

Neben seiner eigenen künstlerischen Arbeit ist Hosea Ratschiller eine Art Integrationsfigur für die stetig wachsende junge Kleinkunstszene. In dieser Funktion realisierte er gemeinsam mit Niedermair-Chef Andreas Fuderer vergangenen Herbst Wiens ersten Stand Up-Club im Wiener Fluc, bei dem er auch die Moderation übernahm. Vor stets vollem Haus spielte dort die Créme de la Créme des Nachwuchskabaretts Seite an Seite mit etablierten Stars. Auch darüber gibt er  Auskunft im folgenden ausführlichen Interview:

 

Dein neues Soloprogramm heißt „Doppelleben“, Untertitel „Ein Häppchen Kultur aus dem Spielautomaten“. Worum wird es gehen?
Sex, Tricks und Wirbel. Ausgangspunkt war für mich der Begriff "Mittelschicht". Da wird ja viel diskutiert, wer das überhaupt ist, und was die alles müssen. Früher hätte man gesagt, strebsam und sittlich soll man sein. Aber heute muss man dabei auch noch selbstkritisch sein, oder "politisch korrekt", wie das die rechtsradikalen Spinner und ihre Punching Balls aus dem Bio-Bezirk nennen. Man soll das Leben in dem Bewusstsein führen, dass man seinen Wohlstand der Zerstörung des Planeten und der Sklavenarbeit anderer verdankt, aber wehe man ist schlecht drauf dabei. Dann ist man ein wehleidiges Schwein. Diese Gemengelage ist natürlich durchaus bewältigbar, wenn man in der Lage ist, von sich und seinen Begehrlichkeiten abzusehen. Dann engagiert und informiert man sich eben so weit, wie es die Kräfte zulassen und bleibt trotzdem freundlich zu den Menschen, die einem am Herzen liegen. Aber wenn man aus - vielleicht sogar gutem Grund - sehr mit sich selber beschäftigt ist, kann auch das privilegierteste Leben in einem Land wie Österreich überfordernd wirken.
Meine Hauptfigur hätte auch gerne eine gute Haltung und ein schönes Leben. Blöderweise hat er nur einen halbwegs passablen Geschmack, aber immer weniger Geld und sonderlich schlau oder mutig ist er auch nicht. Was tun? Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Oder vielleicht doch stehlen?

Im Ankündigungstext ist von verschiedenen Figuren die Rede, die vorkommen: Ein Comedian, ein Vater, Manager, Gangster und noch einige mehr. Außerdem ein publikumsscheuer Akrobat. Ist das Programm eher szenisch aufgebaut – im Vergleich zum eher nummern- und Stand Up-basierten letzten Programm „HEUTE: Hosea Ratschiller“?
"HEUTE" war ja kein echtes Programm, sondern eine Vorbereitungsarbeit für "Doppelleben". Die Idee trage ich schon lange mit mir rum. Aber die Grundvoraussetzung war, dass ich glaubwürdig Stand Up auf hohem Level abliefern kann. Und da habe ich mir eben den vertrottelten Luxus gegönnt, ein Jahr lang zu üben. Mich interessiert am Stand Up vor allem die selbstbewusste Spielhaltung. Die erzeugt eine wunderbare Fallhöhe. Wenn scheinbar bombensichere Pointen zu bröckeln beginnen, kann man aus dem Scherbenhaufen ein Theaterstück zusammensetzen. Das war die Grundidee zu "Doppelleben". Das Leben lässt sich nicht zu einer souveränen Performance eindampfen. Aber wenn es einer doch versucht, und sich mit aller Kraft gegen das Scheitern wehrt, kann das sehr komisch werden.

Und was hat es mit einem Spielautomaten zu tun?
Die Sehnsucht nach dem Haupttreffer ist eine der wichtigsten Triebfedern der Marktwirtschaft. Dass Staaten sich teilweise mit Lotterien finanzieren, ist keine Neuigkeit. Und es ist ja schon bemerkenswert, wenn aus Angst vor dem Wähler nicht die Steuern erhöht werden, sondern eine Tombola veranstaltet. Aber wenn ein privater Glücksspielkonzern der größte Kultursponsor des Landes ist, also die Sucht vieler Menschen absaugt und mit diesem Blutgeld dann als huldvoller Mäzen die letzten Reste der absurden Elite-Veranstaltung "Hochkultur" durchfüttert, das ist ein speziell teuflischer Treppenwitz. Da fühl ich mich dann quasi in meiner Kernkompetenz herausgefordert.

Weiter heißt es: „Wir müssen viel weniger, als wir glauben. Und wir können viel mehr, als wir wissen.“ Diese Worte klingen sehr tröstlich in einer Zeit wie dieser, in der oft von Zukunftsängsten und der Sorge um Wohlfahrtsstaat und Co. die Rede ist. Ist Optimismus heutzutage noch legitim?
Adrenalin ist ein Stresshormon. Es setzt Energiereserven frei. Das ist praktisch, wenn man zwar müde ist, aber trotzdem einen Bären erwürgen muss. Ein Alltag voller Adrenalin ist aber eher kein Hinweis auf Frieden. Wenn alles ein Spektakel ist, vom T-Shirt über die Information bis zum Liebesgeständnis, dann verliert man leicht seine realen Lebensumstände aus den Augen. Das Schöne wird genauso übersehen, wie das Ernste. Ansprüche werden gekürzt, aber fürs Spiegelbild geht es bergauf. Wir sind auf einer Überdosis Adrenalin. Viele verwechseln diese Panik mit Optimismus. Aber der andauernde Blindflug auf dem Reserveakku hat naturgemäß Nebenwirkungen. Zum Beispiel Niedergeschlagenheit und Aggression. Das trifft auch die Gewinner. Aber die können sich die besseren Medikamente und einen Whirlpool leisten. Damit kann man den Absturz gut hinauszögern. Aber bei immer mehr Menschen kommt der sehr schnell. Dass man sich die Uhr vom James Bond doch nie leisten wird können, diese Ernüchterung kann man ja noch ganz gut verkraften. Aber spätestens, wenn man bemerkt, dass man von der Nutzung ganzer Stadtteile quasi ausgeschlossen ist oder die Kinder in eine schlechte Schule müssen, obwohl man sich doch ständig so bemüht, kommt der Kater.
Kaum eine der alten Institutionen unseres Gemeinwesens hat bisher Antworten auf die global vernetzte Gegenwart gefunden. Bildung etwa taugt zwar noch als Marketingbegriff für Wissenschaftsshows. Aber ein pädagogisches Konzept für junge Menschen, die sich in sozialen Netzwerken gegenseitig das Leben zur Hölle machen, darf man sich von denen nicht erwarten. Mein Tipp für Brummschädel vom Entertainment: Kunst. Da wird das, was wir über den Menschen wissen, meistens nicht genützt, um ihm was anzudrehen, sondern, um ihn freier zu machen, oder zumindest um ihm was halbwegs Brauchbares zu erzählen. Das Leben bejahen ist zu wenig. Man muss schon dazu sagen, was genau man für das Leben hält. Und wenn das dann interessant oder schön oder lustig ist, gibt es wieder Anlass zum Optimismus.

Du hast seit unserem letzten Gespräch einige interessante Projekte realisiert, unter anderem gemeinsam mit den RaDeschnig-Schwestern eine Lesung mit dem Titel „Heute: Der allerletzte Tag der Menschheit. (Jetzt ist wirklich Schluss!)“. Darin wird – 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges – eine ähnliche Situation auf die Jetztzeit umgelegt. Wie kam es zu der Idee? Und ist Karl Kraus eine Art künstlerisches Vorbild für dich?
Man sollte sich ja überhaupt nur unerreichbare Vorbilder nehmen. Karl Kraus steht bei mir direkt neben Maria Hofstätter, David Alaba und dem Pumuckl. Der Abend mit RaDeschnig ist aus einer Lust heraus entstanden, mal was gemeinsam zu machen. Dass die Arbeit so gut gelingt, das konnte niemand ahnen. Wir haben das ein Mal im Radiokulturhaus gespielt und ein Mal in der Lach- und Schießgesellschaft in München, und das war´s. Jetzt stehen wir mit einem wunderbaren Abend da, den wir nicht vorführen können. Die Theater haben ja teilweise 2 Jahre Vorlauf. Aber wir arbeiten dran, dass wir es nochmal irgendwo zeigen dürfen. Es wird wohl eher Burgruine als Burgtheater.

Dann gab es im vergangenen Herbst den Stand Up-Club im Wiener fluc, bei dem du die Moderation übernommen hast. Sicher auch ein Versuch, die Kleinkunst auch abseits der etablierten Bühnen und Publikumssphären zu etablieren. Wie hast du diese Abende erlebt und welche vorläufige Bilanz kannst du ziehen? Und: Wird es eine Fortsetzung geben?
Die Abende im Fluc waren allesamt ein Genuss. Viele - Veranstalter, Künstler, Presse - waren vorher skeptisch, aber jeder, der ein Mal dort war, hat sofort verstanden, weshalb Andreas Fuderer und ich seit fünf Jahren versuchen, so eine Veranstaltungsreihe in Wien zu etablieren. Die rohe Stimmung im Fluc erlaubt, dass an einem Abend ein halbes Dutzend völlig unterschiedliche Acts ähnlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Klar, wenn Hader, Maurer, Gunkl, Supancic antreten, dann ist das schon was Besonderes, aber ich glaube, viele Zuschauer waren genauso glücklich, einen neuen Act zu entdecken. Es gibt ja genug spannende Künstler in Österreich, die einer breiten Öffentlichkeit noch mehr oder weniger unbekannt sind. Radeschnig, Marcel Mohab, Paul Pizzera, Berni Wagner, Petutschnig Hons, Flüsterzweieck, Clemens Schreiner, Gebrüder Moped, etc. etc. Das sind alles fleißige Menschen, die auf der Bühne keine Rattenköpfe abbeißen und auch sonst berechenbar und verlässlich sind. Aber anstatt die groß herzuzeigen, und so eine selbstbewusste künstlerische Weiterentwicklung vor geneigtem Publikum zu ermöglichen, müssen alle andauernd neue Programme rausblasen. Weil in Österreich ohne TV-Präsenz kaum jemand ein neues Programm länger als ein Jahr spielen kann. Dieses völlige Fehlen einer breitenwirksamen Plattform können wir mit dem Fluc natürlich nicht auffangen. Aber es war ein Anfang. Und es wird weiter gehen.

Und zum Schluss die selbe Frage wie beim letzten Mal: Was stehen für Projekte in nächster Zeit auf dem Plan – außer „Doppelleben“?
Jetzt fahr ich mal auf Tour. Und auf FM4 gibt es weiterhin den Ombudsmann. Der feiert im Frühling 2016 sein 10jähriges Jubiläum. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn niemand eine Überraschungsparty für das alte Zirkuspferd schmeißt...

 

Die nächsten Aufführungstermine von Hosea Ratschillers neuem Solo "Doppelleben" sind am 03., 10., 17. und 24.02.2015 im Kabarett Niedermair, am 06. und 07.02. im Theatercafé Graz, am 27.02. im Posthof Linz sowie am 03.03. in der ARGEkultur Salzburg. Die Gesamtübersicht finden Sie hier.

Für den 03.02.2015 im Niedermair können Sie mit kabarett.at Karten gewinnen, und zwar hier.
 

Interview vom 21.01.2015, 11:21 Uhr · rb
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